Freitag, 13. November 2009

Der Bavarische Unsinn

Ein alter Schmarrn bereits. Dennoch: Eine glücklose Symbiose pflegen Sinn und Unsinn im ruhmreichen Lande Bavarien, und ihre Strahlen erstrecken sich allüberall. Mehr, so möchten uns bavarische Philosophen lehren, gebe es dazu nicht zu sagen.

Nur wir, wir müssen unseren Senf, unseren Weißwurstsenf, hinzugeben.

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Sonntag, 1. November 2009

Die Bavarische Fährte: "Tracks" im Stimmengewirr des Bahnhofs

Sie haben die zwei Wochen genutzt, die jungen Schauspieler des Theaterspielkreises, als sie Gelegenheit hatten, mit dem international bekannten Konzeptkünstler Ibrahim Quraishi zusammenzuarbeiten: Gemeinsam mit ihm gestaltete das Ensemble die multivisuelle Installation „Tracks“, die stolze Premiere im Domizil des Neuen Pfaffenhofener Kunstvereins im Bahnhof feierte.
Tracks: Spuren, Fährten, Wege, Lebenswege, Trampelpfade, Wildwechsel, Eisenbahnschienen – noch vieles mehr ist in diesem Wort enthalten, und zur Erarbeitung ihrer Installation haben die jungen Schauspieler intensive Erkundigungen zu diesem Thema eingezogen. Entstanden ist eine Geschichte aus Geschichte und Gegenwart, die in den Köpfen der Zuschauer in die Zukunft wirkt.
Bei der Aufführung in der ehemaligen Gepäckaufbewahrung des Bahnhofs, die der Sounddesigner Vladimir Petkovic musikalisch notierte, hielt sich Workshop-Leiter und erster Artist-in-Residence Pfaffenhofens, Ibrahim Quraishi, angenehm und professionell zurück: Er überließ die Bühne den jungen Schauspielern. Die Bühne?



Der ganze Bahnhof bildete Bühne: Beamer, Scheinwerfer, Sound legten mit Hilfe stummer Schaufensterpuppen, die vor der Halle und auf dem Bahnsteig als stumme, nur scheinbar reisende Passagiere bewegungslos verharrten, dem kompletten Gebäude einen kunstvollen Mantel an, unter dessen schützende Hülle unweigerlich auch der Zuschauer, der Zuhörer, der Gast schlüpfen durfte.
Schottersteine bedeckten den Boden der Halle, in deren Mitte ein mystischer Reisekoffer seinen Inhalt lange verbergen konnte. Harte Beats aus den Lautsprechern, hektisches Drehen am Plattenteller und Stimmengewirr, das an den frühen Sound von Amon Düül gemahnte, begleitete die Geschichte einer Flucht: „Früher hat meine Oma noch in Ostpreußen gewohnt … dann mussten wir weg … wir erreichten gerade noch den Zug!“ Lebensspuren verfolgten die jungen Schauspieler, Fährten, die in der kalten Gegenwart eines Eisenbahnwaggons enden: „Hatten Sie schon einmal einen One-Night-Stand in einem Nachtzug?“ Monoton wiederholt stellte sich diese Frage in den schwarzen Boxen, als wäre die Antwort sofort wieder vergessen – die Welt versinkt im Anankasmus, blickt zwanghaft, wahnhaft zurück, von Spuren gedrängt, weil sie sich nicht mehr erinnert und doch von Erinnerung weiß: auf der Suche nach der verlorenen Fährte.
Aufgeworfene Fragen, zwischen Schottersteinen verschwindende Antworten und stoische Präsenz der jungen Schauspieler hielten den kalten Bahnhof lebendig, auch wenn sich die Akteure letztendlich zu den Schaufensterpuppen auf den Bahnsteig stellten und erstarrten – Salzsäulen, bestraft wegen der Spurensuche, wegen des Blicks zurück?
ZuSCHAUer, SCHAUfensterpuppen, SCHAUspieler, alle wurden Eins, verschmolzen im Scheinwerferlicht, und niemand wusste mehr zu sagen, wer spielte und wer mitspielte, wer die Idee in eine Wirklichkeit pflanzte und wer so die Wirklichkeit in Wirklichkeit völlig neu konstruierte.



Ein würdiges Ende für die Installation, die Performance der jungen Truppe, der man ebenso wie den Zuschauern einen laueren Abend gewünscht hätte. Das Knirschen des Schotters auf den Kultur-Tracks ließe sich so einfach leichter ertragen, und der Beifall für den Nachwuchs des Theaterspielkreises wäre dann wohl auch ein bisschen wärmer ausgefallen. Sie sind auf einem tollen Weg, die jungen Artisten, der Anfang der Tracks ist gefunden, und vielleicht bleiben sie – auch ohne Workshop-Meister – dieser künstlerischen Gestaltungsform auf der Fährte. Wir wollen es hoffen!

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