Samstag, 30. Januar 2010
Der Bavarische Malefiz und Harry Dorners Benefiz
Einen Beweis für den unfassbaren Fortschritt im Gedankengut der bavarischen Philosophasterei lieferten Benefiz, Malefiz und Acoustic Rock mit Harry Dorner im Kunst-Café zu Wolnzach.
Die Philosophie des Abendlandes wird umgeschrieben: Während früher die Häufigkeit der fliegenden Gutachter über die Güte eines Produkts entschied, kristallisiert sich in diesen Zeiten immer mehr heraus, dass Qualität sich umgekehrt proportional zur Anzahl der Gäste definiert. So gesehen war das Benefiz-Konzert im Kunst-Café denn auch kein Malefiz-Konzert, sondern ein Highlight, das viele zu besuchen vergaßen, weil zeitgleich in der Tagesschau die aktuellen Bilder aus Haiti liefen.
Bewährtes professionell präsentiert: Harry Dorner ließ sich bei seinem vierten Konzert im Kunst-Café die Laune nicht verderben. Seine schwarze Gitarre, seine raue Stimme, dazwischen ein Glas spanischen Rotweins – acht Besucher wussten das zu schätzen und summten mit bei „Catch the wind“ von Donovan und „Desperado“ von den Eagles, und „This Hard Land“ von Bruce Springsteen zeigte, worum sich die Welt in diesem Malefiz-Benefiz-Konzert ebenso drehte.
Um ein hart getroffenes Land ging es im Spendenaufruf: Harry Dorner und Martin Günther vom Kunst-Café hatten beschlossen, die Gage-Spenden und einen Anteil an Speisen und Getränken über das „Bündnis Entwicklung hilft“ an die Erdbebenopfer von Haiti weiterzuleiten. Exakt 100 Euro zählte man im Spendentopf, und das ist, wenn man die 400 Mio. von 82 Mio. Deutschen (inklusive Regierung) zum Vergleich heranzieht (4,87 Euro/Person), dann gar keine so schlechte Quote (12,50 Euro/Person), die noch dazu die These von der reziproken Relation unterstützt: Je weniger Fliegen, desto offensichtlicher die Wahrheit.
Dass man bei den Konzerten im Kunst-Café auch etwas lernen kann, belegte ein Gast, der zu später Stunde die These verbreitete, man könne auch im Winter (im Freien!) grillen und auf http://www.grillsportverein.de/ durchaus noch etwas zu diesem Thema teilweise umwerfend witzig erfahren.
Einfach so, einfach weil auch er gut ist ...
Sonntag, 24. Januar 2010
Die Bavarische Lesung
Oben und unten trafen sich bei „incontri“ – eine Begegnung mit Lesezeichen zeigte uns, woher der Wind im zwar glorreichen, aber für den Dummkopf unlesbaren Lande Bavarien tatsächlich weht. Fazit: Noch nicht verloren ist das Land – man liest noch!
Der Mensch, so erleben wir an besonderen Tagen, hat zwei Arme, zwei Beine und zwei Klappen. Eine ist die Herzklappe, die andere ist die Klappe, die er nicht halten kann – und dies gewährleistet erstens, dass diejenigen, denen keiner mehr zuhört, sich hinsetzen und aufschreiben, was diejenigen, die es können, dann, zweitens, vorlesen und so, wie Christian Weigl, Nora Seiler, Lena und Lorenz Kettner ein Zeichen setzen: ein „Lesezeichen“.
„Lesezeichen“, so nennt sich die Gruppe um Lorenz Kettner, die bereits seit Jahren Literaturfreunde mit ihren Lesungen in den Bann zieht und denjenigen, denen Zeit oder Lust fehlt, selbst zu lesen, diese Zeichen setzt: Lesezeichen mit dezentem Hinweis, was denn der Mensch von heute außer Armen, Beinen und Klappen noch so brauchen könnte an Literatur und Bildung – Herzensbildung neben Herzensklappe.
„Ihr da oben – wir da unten“ heißt das neue Programm, und die vier Vorleser thematisierten auf der Bühne bei „incontri“ in der KulturWerkHalle in Rohrbach „Herren und Diener“ in der deutschsprachigen Literatur. Dass man dazu die schon erwähnten Arme und Beine bestens gebrauchen kann, bewiesen nicht zuletzt Nora Seiler und Christian Weigl, die einen Sketch von Loriot mit „Liebe im Büro“ als einen von ungezählten Höhepunkten des Abends handgreiflich zur Aufführung brachten.
Goethes „Prolog im Himmel“ schlug einen brillanten Haken zu Robert Gernhardts „Der Herr rief: ‚Lieber Knecht, / mir ist entsetzlich schlecht!’ / Da sprach der Knecht zum Herrn: ‚Das hört man aber gern!’“, Georg Wilhelm Friedrich Hegel, dem ein Individuum an und für sich sei, wenn es für ein anderes an und für sich ist, maulte als Lesezeichen über die Kammerdiener, die ihrem Herrn schon zu oft in die Schuhe oder ins Bett geholfen haben, als dass sie ihn noch als Helden wahrnehmen könnten, und wieder einmal demonstrierte Christian Weigl seine österreichischen Sprachfertigkeiten, indem er einen Herrn Qualtinger, nein: einen „Herrn Karl“ wiederauferstehen ließ.
So las die Gruppe, mal heiter, mal ernster, doch stets faszinierend durch 200 Jahre Literatur, bis bei Josef Roths „Radetzkymarsch“ – ein Stück, an dem, so Lorenz Kettner, „unser Herzblut hängt“ – das unverhofft klingelnde Handy eines Gastes mit einer Melodie aus „Carmen“ nicht nur den Untergang des k.u.k.-Reiches bestätigte, sondern den endgültigen Untergang des Abendlandes einleitete und in die Pause führte.
Nun werde es lustiger, versprach Lorenz Kettner mit dem Lächeln des Mephisto für den zweiten Teil, und tatsächlich, es ging: eine Krankenhaussatire (Klaus Peter Schreiner) aus dem Jahre 1968 (!) schüttelte das Publikum minutenlang wie eine Armada kleiner Lachsäckchen, und mit Hugo Wiener, Komponist, Librettist, Kabarettist, Autor und Pianist aus Wien (!), und seinem irrwitzigen Restaurant-Stück „Wünschen der Herr zu speisen?“ spielte das „Lesezeichen“ sich und das Publikum in der ausverkauften KulturWerkHalle an die gar nicht so weit von der Realität entfernte Wand des Wahnsinns. Herren und Knechte erstanden in allen Variationen, und immer erhellte sich – der Gerechtigkeit der Natur sei Dank – der signifikante Unterschied, dass der Knecht verzweifelt auf der Suche nach einem Frühstück für seinen Appetit ist, während der Herr sich noch verzweifelter nach einem Appetit für sein Frühstück verzehrt.
Viel zu schnell war Schluss, und wir nun nehmen jede Wette an, dass keiner der hingegeben lauschenden Gäste an diesem Abend nach Hause ging, um Unfug zu treiben – es sei denn mit der Nase in einem Buch!
Diesen Artikel finden Sie auch auf http://www.hallertau.info/