Donnerstag, 11. August 2011

Bajuwarische Ameisenripperl gefällig?

Jetzt sind wir also frisch angebloggt und noch kräftig schreibbloggiert. Was also bleibt uns übrig, als auf Bilder zurückzugreifen, die - wie dieses Wort ja schon deutlich macht - stets einen Zugang bilden können.


Einen Versuch ist es wert: Kurz nach dem Genuss eines bajuwarischen Nizzasalats mit japanischem Thunfisch in einem bajuwarischen Bistro mit italienischem Namen drängt sich uns also schließlich die multikulturelle Frage auf, ob es dort auch mexikanische Ameisenripperl auf regional-biologischem Grünzeug gegeben hätte. Wir bezweifeln das, obwohl wir uns im Herzen einer hopfnungsvollen Metropole befanden, und kehren wieder bescheiden zum bajuwarischen Espresso zurück.

Des Bavarischen Hinterhofes lauschige Idylle

Manchmal des Nachmittags, wenn ich so durch die Straßen zieh‘ und „den da oben“ einen guten Mann sein lasse, sehne ich mich nach einem Plätzchen. Ein Plätzchen im Schatten, mit Blick auf helle Bergesspitzen, die Luftlöcher ins blaue Himmelszelt ritzen, ein Körbchen mit Brez’n leuchtet auf dem Tisch, und ich sitze beschirmt unterm Blätterdach eines alten Baumes, dessen Blätter jedes einzeln ein Geschichtchen erzählt, von der Sehnsucht nach einem Plätzchen, einem Plätzchen im Schatten …

Es ist tatsächlich Nachmittag. Um zurückzufinden in meine wolkige Gedankenwelt, verlasse ich den Trubel des Hauptplatzes und stromere durch die Sonnenstraße nach Süden. Den Philosophen spielend, leicht vornüber gebeugt, lasse ich mein rechtes Auge im schräg gelegten Kopf an der Häuserwand entlang gleiten, und just bleibt eben jenes Sehorgan, und zwar ohne meine Vorwärtsbewegung zu reduzieren, gleichsam wie an einem Gummiband im offenen Drittel eines alten Tores hängen. Als das Band gestrafft, kehre ich zum Auge zurück und sehe durch das Tor. Ein Hinterhof wie aus dem Bilderbuch tut sich mir auf, und als ich nähertrete, entdecke ich, nur dem Adlerauge entschlüsselbar, ein Holzschild mit dem Schriftzug „Alexanders Biergarten“, davor ein Tisch, Holzbänke, ein Korb mit Brez’n, wie hingemalt für mich.

Pflastersteine begleiten mich durch das alte Gewölbe des Torbogens, und dann wird Sonnenlicht: Bergesspitzen über einem See grüßen weitere Tische, ich bin geschafft ob solch lauschiger Idylle, unentdeckt in dieser Stadt, und bestelle beim freundlichen Wirt ein Pils. Und noch eines, weil die Sonne scheint. Und noch eines, weil ich’s immer noch nicht fassen kann, dass ich noch nie hier war. Und – dazwischen eine Breze! – noch eines, weil ich heute vielleicht doch ein Boot in den See male, und noch eines, weil ich bestimmt wieder kommen werde – wenn ich nicht gleich hier bleibe.

„Kehr wieder ein“, steht dann tatsächlich über dem Torbogen, wie pastellig hingehaucht. Ich nicke gehorsamst, selbst wenn’s dann wieder nur ein lauschiges Sätzchen über ein rauschiges, ein rauschiges Sätzchen werden wird über ein lauschiges Plätzchen. Ein Plätzchen im sonnigen Schatten.

"Salverbräu"
Auenstr. 46 / Ecke Sonnenstr.
85276 Pfaffenhofen

Tel. 0
8441/9643



Die Bavarische Kunst, jeden zum Künstler zu machen

„Jeder ist ein Künstler“. So ganz und gar glauben wir das wohl doch nicht. Sonst säßen wir bescheiden in unserem Atelier, würden der erhebenden Inspirationen harren, die uns Künstlern zufliegen zu den unmöglichsten Tageszeiten wie die Fallschirme des Löwenzahns, und uns mit Elan in die Gestaltung unseres Werks stürzen. Schaden allerdings kann es wohl nicht, zwischendurch den Nachbarn zu besuchen, natürlich nur um zu schauen, ob man nicht doch noch etwas lernen könne für die Kunst, seine Kunst zu formen.

Dass jeder ein Künstler sei, postulierte Joseph Beuys, der Große aus der Reihe der Universal-Artisten, und zu seinem 25. Todestag inszenierte der Kunstverein in Pfaffenhofen sein Projekt „Beuys und Die Demokratie“. Bedauerlicherweise hatten am Freitag der Eröffnung, als sich in der Kulturhalle an der Kellerstraße zur Vernissage nicht nur jene versammelten, die ihren künstlerischen Horizont erweitern mochten, sondern ebenso jene, die ihren eigenen Tellerrand erkennen mussten, bedauernswerterweise vielmehr hatten am Eröffnungstag jene keine Zeit und Muße und Muse, die sich zwei Tage vor der Landratswahl auf dem demokratischen Feldzug durch die politischen Herzen des Landkreises befanden: Die Kandidaten – zwei Tage später, einem demokratischen Wahlverfahren geschuldet, da waren’s, wie im politisch nicht korrekten Kinderlied, nur noch zwei.

Die fünf Boys wären Herrn Beuys und seinem Epigonen Johannes Stüttgen, der Kulturreferent Steffen Kopetzky und Manfred „Mensch“ Mayer bei der Einführung in die um den legendären Filzanzug gescharten Exponate hilf- und wissensreich zur Seite stand, sicherlich willkommen gewesen: Die Verwirklichung der Demokratie nämlich sei – nach Beuys; wir verweisen beflissen, auf dass nicht jemand komme mit Plagiatsvorwürfen – nicht nur ein Abstimmungsverfahren mit dem Ziel „Einer wird gewinnen“ (ein Baustein in der sozialen Skulptur, den uns die 60er Jahre des letzten Jahrhunderts betonschwer ins Mosaik gesetzt haben), sondern „die primäre Aufgabe der Kunst in der Gegenwart“. Sie hätten also durchaus etwas lernen können auf dem Weg ins angestrebte Amt, den der Meister wohl „Zen oder die Kunst, ein Landrat zu werden“ genannt hätte.

Was hat nun ein roter Kleiderbügel mit Kunst zu tun? Der legendäre Filzanzug hängt an einem Kleiderbügel der Firma Mawa, die in der Kulturhalle – als Beuys-Warm-up – die Ergebnisse eines von Firmenchefin Michaela Schenk ausgeschriebenen Wettbewerbs präsentierte. Dutzende von regionalen und überregionalen Künstlern bereiteten mit ihren Werken so den Weg (Wir können nicht anders: „Zen oder die Kunst, eine Ausstellung zu machen“) für das überwältigende Beuys-Projekt, das man nicht nur seinen Augen, sondern all seinen Sinnen ans Herz legen sollte, solange es noch die Kulturhalle mit seinem genialen Geist erfüllt.

Nüchtern betrachtet, soweit dies bei ihrem hoch ausgeschnittenen Kleid überhaupt möglich war, hätte auch Marie Theres Kroetz-Relin in die Kulturhalle gehört, als sie den Weg(!) ihrer Schell-Familie vorlesend abschritt und sich selbst wiederfand im Moosburger Hof. Sie stützt unsere These, die Kunst sei immer und überall, wie das Böse. So lehnen wir uns gleichermaßen beeindruckt wie beleidigt zurück und werden, als würde jemand Schlitten mit uns fahren, diesen Gedanken nicht mehr los: „Jeder ist ein Künstler – nur ich nicht!“



Der Bavarische Steinezähler

Es ist an der Zeit. Die Tage werden gezählt. Da kann uns auch der „Immerwährende Kalender“ aus dem bairischen Hinterland nicht darüber hinweg täuschen, dass es einen Anfang gibt und ein Ende. Auch ein Kreis hat ein Ende, und dieses Ende befindet sich genau da, wo kleine Kinder auf dem Kinderkarussell ihren Eltern zuwinken, am roten Feuerwehrauto die Glocke läuten und mit strahlendem Lächeln in die nächste Runde gehen. Das Ende ist der Anfang. Die Mathematiker unter uns suchen seit Jahrhunderten nach dem Ende der Zahlenreihen, und sie haben es gefunden in der Unendlichkeit. Auch eine Lösung.

Die beste Lösung hat Florian. Ich traf ihn eines Morgens auf dem Hauptplatz. Wochenmarkt. Hinter der Standlstraße saß er auf jenem Fleckchen Erde, auf dem ich mich am Ende der Zeit als Boccia-Spieler wiederfinden möchte, beäugte mit kritischem Blick die Steinchen um sich herum, traf eine Wahl, nahm einen Stein von der Größe eines Taubeneis auf und legte ihn zärtlich in eine Stranitze. Diese Papiertüte, die eigentlich Staritze hieß und auf Grund der mittelbairischen Lautverschiebung im auslaufenden 20. Jahrhundert als Stranitze in den Bairischen Wörterbüchern Aufnahme fand, war schon gut gefüllt – ein steinernes Monument kindlicher Genialität.

Ich will der Zeit nicht vorgreifen: „Was machst du da?“ – „Steine zählen.“ – „Wie alt bist du?“ – „Fünf.“ – „Dann gehst du noch gar nicht in die Schule.“ Obwohl es keine Frage war, hob Florian den Kopf: „Ja.“ Ich wollte es jetzt wissen: „Wie viele Steine hast du schon?“ – „Weiß ich nicht.“ – „Wie weit kannst du denn schon zählen?“ – „Bis hundert.“ Er stutzte nur ganz kurz und sah mich dann an: „Wie weit kannst du denn zählen?“ – „Bis eine Milliarde, schätze ich.“ – „Hast du viel Geld?“ – „Nein.“ – „Ich kaufe mir mal einen Ferrari und einen Lamborghini.“ Ich musste wieder die Initiative ergreifen: „Was machst du mit den Steinen?“ – „Ich nehm sie mit nach Hause.“ – „Und dann?“ – „Auf den Kachelofen, zum Dekorieren.“

Das war der Moment, in dem ich die Segel strich. Ich wollte plötzlich nicht mehr Boccia spielen, nie mehr, nicht mal am Ende der Zeit. Ich wollte einfach nur noch und unbedingt Steine, Steinchen auf einem Kachelofen betrachten, liebevoll ausgelegt, vielleicht in Spiralen, in Kreisen, in akkuraten Linien, die ins Unendliche der kindlichen Phantasie laufen – ungezählte Steine, doch gezählt wie die Tage, die wir Großen so unbedacht laufen lassen ins Unendliche.