Montag, 31. Dezember 2012

Das Bavarische Gripperl

So ein Jahr gewinnt nicht an Bedeutung, auch nicht, wenn ich nach dem Besuch an der metaphorisch bethlehemitischen Krippe, am Kripperl, für die letzten Tage in 2012 von einer Drohne infiziert werde, viral und hinterhältig, von einem Gripperl, das mir zwar jede Freude auf 2013 unter den Füßen wegzieht, aber gleichzeitig ein bisschen Genugtuung ins Herz träufelt: Wenn schon nicht den mayaesken, so hab ich doch wenigstens den lorenzinischen Weltuntergang – gerade noch rechtzeitig – geschafft.

Aber gut, so sei es gewollt, Abschied vom Stall, die Zeiten sind vorbei, nichtsdestotrotz und in kräuselndem Erinnerungsflug (v.l.n.r.): der Joseph (Schlapphut, in Gedanken versunken: „Wo bin ich hier?“); der Heilige-Drei-König (ein Herrscher, drei Hände; in der einen: Weihrauch [Tablette, Blutdruck senkend]; in der zweiten: Gold [sternenförmig]; in der dritten: Myrrhe [kleinasiatisches Gebüsch]); die Krippe (Jesuskind inside, kein weiterer Kommentar); die Maria (auf einem Stuhl sitzend; ein Entgegenkommen, weil: geschwächt von der Geburt); der Esel (er ist der Einzige, der singt); der Ochs (ihm fehlt alles, insbesondere das richtige Wort); das Schwein (rotschwänzig und vollkommen überflüssig); darüber ein Vogel auf Gestütz (überflüssiger als ein Schwein und die Starfighter [Bethlehemitische Sternenkrieger {lauter Gute}] symbolisierend); davor, vor allem, die Schafe: in der Mitte und rechts zwei Unschuldslämmchen, links aber, das größte unter ihnen, wie Glaube, Hoffnung und Liebe, ist Owie, bekannt aus dem längst vergessenen Lied „Stille Nacht, heilige Nacht“, und Owie lacht – noch immer, und immer wieder …

Freitag, 21. Dezember 2012

Der Bavarische Kontrast: Weihnachtskonzert mit Dudelsack

Es ist Legende, Tradition: Wenn Weihnachten vor der Tür steht, findet hinter der Tür des Stil-Wirts an der Wendenstraße ein Konzert der Extraklasse statt. Der Wirt – Georg „Muskel“ Appel, begnadeter Musiker – greift zur Mundharmonika und beschert seinen Gästen mit der „Peter Trapp Band“ – unbändige Spielfreude – ein musikalisches Geschenkpaket.
 
„Wir sind“, fasste Peter Trapp zu Beginn des Abends zusammen, „wie ein altes Ehepaar, das sich schon seit zehn Jahren auseinanderlebt“. Die Ironie des Gitarristen bezog sich dabei nicht nur auf seine Duos mit Georg Appel, sondern beschrieb ebenso die gemeinsamen Auftritte mit der Band: „Das sind Musiker mit Spielfreude implantiert; wenn du zu denen sagst, spielt mal ohne Spielfreude, dann halten sie das gerade mal vier Takte durch!“
Als da wären als freudiger Beweis: Hans-Peter „Titus“ Dittmar mit der E-Gitarre, Ralf „Dee“ Simon mit dem Bass und Rudi „Party-Pilot“ Randelzhofer mit dem Schlagzeug – und los ging’s unter dem Motto „Kontraste“ mit Songs von Liebe und Leid, vom sentimentalen Country-Blues-Himmel tauchten die Lieder in die offensive Blues-Rock-Hölle – und das Ganze mit Rückfahrkarte in die brechend volle Stube des Stil-Wirts. „Kompakt“ nannte Peter Trapp als Parallel-Motto, ließ dennoch zwischen den Liedern humorig verschnörkelte Dialoge der Musiker einfließen wie Wellenbrecher, aber: „Manch einer will ja morgen wieder in die Arbeit; also weiter!“ Cohen, Dylan, Hank Williams, Eigenkompositionen – und, zärtlich verteilt wie Perlen auf blutrotem Samt, zwei Hits der legendären Wolnzacher Band „A Baker’s Dozen“ um den „frühen“ Georg Appel.

„i-Tüpfelchen“, Schlusspunkt auf dem musikalischen Sturm im Stil-Wirt war der Auftritt von Erden: Der türkisch-stämmige Programmierer, der sonst bei der Software-Factory ContentServ in Rohrbach am Schreibtisch sitzt, intonierte als Überraschungsgast auf dem Dudelsack einen schottischen Marsch, der in einem gemeinsamen „Amazing Grace“ mit der „Peter Trapp Band“ ausklang.
Internationaler geht’s kaum, schöner geht’s kaum; Weihnachten kann also kommen – die Tür ist auf!

Mittwoch, 7. November 2012

Die Bavarische TR’IRXN: Keltenrock und Geigenpower

Nackt an der Himmelstür zu klopfen, mag Wunsch oder unausweichliches Schicksal sein – beim IRXN-Konzert war es das Schlussstück, in bajuwarischem Idiom: „Naggat an da Himmesdüür“, und da geht auch nichts mit einem Bob-Dylan-Knocking, da wird ordentlich „genackelt“ an den Türen beim Stil-Wirt!

Vier alte Hasen und eine neue Geigerin: Ob der Hase ein keltisches Krafttier ist, muss offen bleiben; fest steht, dass Trixi Weiss, die neue Geigerin, die den eigene Wege gehenden German Heimrath bei IRXN ersetzen durfte, sich kraftvoll eingeführt hat in die Irxn, in jenes Kraftpaket, das sich aus dem bairischen Wort für Achsel schnürt und eigentlich das dieser innewohnende „Irxnschmoiz“ meint.



IRXN: Das ist Bernie Maisberger, Gitarrist und Sänger, der auch für die Texte zeichnet, die, poetisch und provokant verpackt in einen musikalischen Mantel aus keltischer Mythologie, ungarischen Zigeunerklängen und bajuwarischen Folk-Rock, ein Füllhorn an Geschichten in die wieder einmal volle Stube des Stil-Wirt schütteten; das sind der donnernde Bass und die allmächtige Tuba von Peter Gschwandtner, und das ist Markus Traurig, der – non est nomen omen – in aufblühender Spielfreude ein wuchtiges rhythmisches Feuer entfacht – und das nur mit Becken, Cajón und Bongos bewaffnet; das ist Reinhold Alsheimer, Gitarrist, Wolnzacher und fränkisch-bajuwarischer Kelte im Schottenrock, dessen Instrument – bisweilen magisch –Takt und Rhythmus zusammenhält.

TRIXIRXN, Trixi und Irxn, TR’IRXN: Das ist nun auch Trixi Weiss, helle Geigerin im schwarzen Keltenkleid. Noch hielt sie sich wohl ein bisschen zurück mit ihrem Instrument, in einigen Passagen aber ließ sie doch ihr Talent, ihren Mut zur spontanen Improvisation aufblitzen, als sie mit Reinhold Alsheimers Gitarre in den Off-Beat schmeckte, bis sie der Takt der IRXN wieder aufnahm im mächtigen Strom dieses „Celtic Bavarian Hardfolk“. Trixi Weiss wird kommen, mit „Irxnschmoiz“ und Geigenharz, das zeigte ihr souveräner Auftritt beim Stil-Wirt kraftvoll und deutlich.
Auch ein mitreißendes Konzert hat mal ein Ende, und ein perfektes Konzert gehorcht – völlig frei von Ironie – dem Grundsatz „Wenn man aufhört, ist es am Schönsten“: Denn dann kommt Wirt „Muskel“ Appel auf die Bühne, bringt seine Mundharmonika mit und intoniert mit „Irxn“ und IRXN „Knocking On Heaven’s Door“ – auf Bairisch, bis die Wände „nackeln“, weil die Nackten klopfen an der Himmelstür und das Publikum nicht mehr aufhören will zu klatschen.

Dann kann nichts mehr kommen – außer, wie es in einem wunderschönen Song dieses IRXN-Abends hieß, wir lassen Drachen steigen und lachen uns Tränen ins Herz. Bis zum nächsten Mal und dann wieder!




Dienstag, 6. November 2012

Bavarisch aufrecht sei der Mensch – lobreich und gut


Also gut, das hatten wir schon mal: Der Hauptplatz sei „rechteckig wie eine Haustüre“, so beginnt der Roman „Der Zwischenfall“ von Joseph Maria Lutz. „Oben steht die Kirche mit einem hohen Turm“, schreibt er weiter, „unten schließt das Rathaus den Platz ab. Auf dem Marktplatz haben die Geschäftsleute ihre stolzen Häuser, und dazwischen stehen, rechts und links gerecht verteilt, acht Brauereien“. Ja, Pfiefkas, wieder eine weniger!


Die Zeiten ändern sich; „the times they are a-changing“ singen ein paar wilde Gestalten am Marienbrunnen, doch ahnen sie es damals bereits, als ihre Stimmen sich – von der Freude über das bestandene Abitur beschwingt, geölt von jenem billigen, leicht perlenden roten Wein aus dem nahen Lebensmittelladen, den übrigens auch der Zahn der Zeit weggefressen hat – in den Nachthimmel der frühen 70-er Jahre erhoben, dass auch der „Bortenschlager“, dieses zu den besten Häusern am Platz gehörende Gasthaus, den Weg alles Irdischen zu gehen hat? Sicher nicht. Denn diese jungen Herrschaften nämlich, zum Teil gar Mitglieder des ersten Abiturjahrgangs am kaum ein Jahrzehnt zuvor gegründeten Schyren-Gymnasium, durften in den Räumlichkeiten des „Bortenschlager“ die mehr oder weniger offizielle Feier ihrer Matura begehen, eines Zeugnisses, das immens gewichtig die Vergangenheit mit einer großen Zukunft verbindet. Erschwerend – für langen Bestand im ja eher zur Flüchtigkeit neigenden Schülergedächtnis – kam noch hinzu, dass die Gassenschänke dann, wenn des roten Weines letztes Tröpfchen über den Flaschenhals gekippt war, stets ein offenes Ohr hatte und eine gnädige Hand, die, auf klingelnde Anforderung, ein abschließendes Flaschen-Bier reichte für die Feiernden am Brunnen, der damals bei Insidern trotzdem vorübergehend den Namen „Fontana di Lambrusco“ tragen durfte – warum also sollte ausgerechnet dieses Gute vergehen?


Die Zeiten sind vorbei. Die Zeiten sind immer vorbei, wenn wir den Blick nach hinten richten. Genug der Nostalgie. Die Kugel, auf der wir unser Bier und unseren Wein trinken, dreht sich weiter – Gejammer hin, Gejammer her –, ob wir es wollen oder nicht. Das Gute geht, das Gute kommt ¬ mit aufrechtem Gang, so wie es sich auch für einen homo erectus gehörte, der frech behauptet, er hätte die letzten zwei Millionen Jahre dazu genutzt, sich zum homo sapiens fortzubilden. Lasst uns also lobreich in die Gegenwart blicken und nicht ständig rummäkeln an dem, was früher scheinbar viel besser war und heute so ist, wie es ist.

Schön und gut, wird der durchreisende Architekt sagen, aber wäre nicht eine Fassade im neoromantischen Stil näher am Original gewesen, hätte diese nicht viel mehr den Geist der alten Brauerei Bortenschlager widergespiegelt, den Esprit des Fasses und des Bieres klares Gluckern? – Schön und gut, wird der durchreisende Esoteriker sagen, hätte es nicht auch ein bescheidener Tempel der Kontemplation getan, mit Sphärenklang und Schalengong? Musste es denn wirklich ein K&L sein, mit Jobcenter und Arge?

Ja. Außerdem bleibt uns immer noch der Marienbrunnen, in dem jetzt die Enkel derer plantschen, die ihn vor vier Jahrzehnten „Fontana di Lambrusco“ nennen durften. Und irgendwann, wahrscheinlich 2112 im März, wenn Bagger rollen und der K&L einem Fresstempel – in spaciger Optik und mit Mini-Plutonium-Kraftwerk auf dem Flachdach – weichen muss, sitzen bestimmt mäkelnde Urururur-Enkel am Marienbrunnen und seufzen: „Meiomei, der K&L, war er nicht schön?“

Wenn ich das noch erleben dürfte.

Dienstag, 7. August 2012

Der schachterlweise Untergang des Abendlandes

Habe ich schon mal erwähnt, dass mit der Entwicklung des elektrischen, des automatischen Fensterhebers in Kraftfahrzeugen der bevorstehende Untergang des Abendlandes endgültig eingeleitet worden ist? Es ist so!
Man spare Bewegungsenergie und Zeit, hieß es damals, das lästige Kurbeln falle weg, dass sich jemand das Handgelenk auskugelt, weil der Sitz zu weit vorne platziert ist, wurde praktisch ausgeschlossen, und man habe die Hände frei für wichtigere Dinge – verzweifelt aus dem Fenster winken zum Beispiel, wenn das Steuergerät versagt, die Scheiben sich auf halber Höhe festfressen, eisiger Dunst ins Fahrzeug­innere dringt und bei Minusgraden innen an der Windschutzscheibe gefriert. Da hilft auch keine Klimaanlage mehr – noch so eine Erfindung, die der Erderwärmung nichts, aber auch gar nichts entgegenzusetzen hat. Sollte der bemitleidenswerte Fahrer es mit steif gefrorenen Ohren bei mäßiger Geschwindigkeit – Zeit hatte er ja genug gespart – tatsächlich noch in die Werkstatt schaffen, droht der nächs­te Schock: „Unter Umständen“, lächelt ein Blaumann, „unter Umständen müssen wir das Steuergerät austauschen“. Wir. Ich will gar nicht wissen, was ein Steuergerät kostet. Mich. Außerdem ist Sommer.

Das Steuergerät im Zigarettenautomaten meines Vertrauens jedenfalls funktioniert hervorragend. Entgegen der landläufigen Meinung regelt diese Einheit das Einlesen meiner Kontokarte und den korrekten Auswurf  der gewählten Marke. Wer glaubt, dieses Gerät lege den Steuersatz fest, hat meine Theorie vom Untergang des Abendlandes noch nicht begriffen. Der Steuersatz ist in Ordnung. Er liegt bei rund 73% des Verkaufspreises und setzt sich – beispielsweise bei einer Schachtel Zigaretten für 5 Euro – zusammen aus 2,85 Euro Tabaksteuer und 0,80 Euro Mehrwertsteuer. Der Rest – 1,35 Euro – ist Zigarette.
Der Untergang des Abendlandes liegt im Automaten an sich begründet. Wer jetzt im Morgenland anfängt, hämisch, voller Vor- und Schadenfreude die Hände reibend, zu überlegen, an welchem Mittelmeerstrand er – bei postapokalyptischen Grundstückspreisen – seinen prächtigen Sommerpalast errichten werde, der halte gleich wieder inne: Die Theorie des Untergangs gilt von null Uhr null bis Mitternacht und überall. Es gibt ja auch überall Automaten.

Automaten sparen Zeit und Bewegungsenergie – und damit natürlich ebenso Geld. Ich könnte als Raucher im Kaffeehaus festfrieren, müsste nur ab und zu vor die Tür, um eine durchzuziehen – und käme dabei wie automatisch am Automaten vorbei, der meinen Nachschub bereit hält. Der Weg zum Tabakladen – und zurück – dauerte mindestens sieben Minuten, die Beine und Arme müssten bewegt werden (was, Expertenrufen aus Krankenkassen zufolge, nicht ungesund wäre und speziell Rauchern zu empfehlen), und im Laden wäre zumindest ein Minimum an sprachlicher Kommunikation nötig, falls der Raucher nicht in der Lage ist, präzise zu deuten und die Anzahl der gewünschten Schachteln mit Fingern zu vermitteln – ein Haufen Zeit und Bewegungsenergie.

Die Geschichte mit dem Geld funktioniert folgendermaßen: Während der Mensch im Tabakladen für eine Schachtel meiner favorisierten Zigaretten 4,90 Euro verlangt, nimmt der Automat meines Vertrauens die runde Summe von 5 Euro – mit einem weiteren Unterschied: Die Ladenschachtel enthält 19 Stäbchen, die Automatenschachtel wartet mit 20 Stück auf. Jetzt können Sie rechnen: Dass die automatische Zigarette exakt 0,25 Euro kostet, schaffen wir noch im Kopf. Die Überraschung aber liefert der Taschenrechner: Die erlaufene Zigarette kostet 0,25789 Euro, ist also wesentlich teurer; daraus folgt: Der Automat hilft uns sogar Geld sparen – was zu beweisen war.

Geld, Zeit, Energie: Ich freue mich auf dem Tag, an dem das Steuergerät in meinem Automaten mal nicht so funktioniert, wie es soll, und stattdessen berechnet, mit wie vielen Zigaretten aus dem Automaten ich 0,00789 Euro sparen muss, damit der Mensch im Tabakladen, wenn er denn schon eingespart werden soll, auch was wert ist – und wie lange das erwartungsgemäß dauern wird.

Die Antwort ist einfach: bis zum Untergang des Abendlandes. Grob geschätzt.  

Und oder Oder oder Oder und Und


Manchmal, also selten, beginnen die Tage so gemütlich, dass ich bei einem Blick in die bunten Blätter, die der Tageszeitung ein schöneres Gesicht verleihen, nicht das Gefühl habe, Zeit zu vergeuden. Und so fällt mir der „Geburtstagsrabatt“ ins Auge: „Wenn Sie in diesem Jahr ein runden Geburtstag feiern oder im Monat Oktober ein neues Lebensjahr beginnen, bezahlen die Geburtstagskinder für diese Reise anstatt € 1439,– nur € 1039,– pro Person.“ Pro Person müsste er nicht hinzufügen, der Prospekt; ich fühle mich schon als Person angesprochen – und zwar doppelt. 

Die Reise gehe nach Peking, ins Land der aufgehenden Sonne, ins Land des Lächelns, ins Land des letzten Kaisers (irgendwie), ins Land von Mao Tse-tung, den man heutzutage Mao Zedong schreiben darf, in die Stadt der Kaiser und Paläste. Ich wollte noch nie – höchstens zu Maos Zeiten, und da nur in peripheren Regionen meiner grauen Zellen – nach China – oder doch: War nicht auch Karl May da, als „Blauroter Methusalem“? – oder in dessen Hauptstadt, aber nun, bei diesem Angebot sollte ich wohl zugreifen. Denn: Ich feiere in diesem Jahr einen runden Geburtstag – und ich beginne im Oktober ein neues Lebensjahr. Der Oktober gilt wohl deshalb als Kriterium, weil die besagte China-Reise zu eben diesem Zeitpunkt stattfinden soll.

Alles scheint einfach und klar im Licht der aufgehenden Sonne. Dieses Angebot wendet sich sowohl an Menschen, die in diesem Jahr einen runden Geburtstag feiern, und auch an Menschen, die im Oktober geboren sind. Beides trifft auf mich zu. Zwei mal 400 Euro ergeben nach allen Regeln der Mathematik 800 Euro. Für € 639,– würde sogar ich nach Peking fahren. Ich rufe im Reisebüro an und lege die Tatsachen auf den Tisch: „Ich… Peking… runder Geburtstag… Oktober… zwei Fliegen mit einer Klappe… 639 Euro!“

Der nette Herr am anderen Ende der Leitung, der mich aus der Warteschleife erlöst, steht mit beiden Beinen auf der Erde: „Eine Klappe, eine Fliege“, sagt er, „aber Sie können sich entscheiden, ob sie den Rabatt für den runden oder für den Oktober-Geburtstag in Anspruch nehmen!“ Ich glaube, vorher hat er sogar kurz gelacht. Sieht so aus, als wäre ich nicht der Erste, der mit dieser Rechnung bei ihm anklopft. Es bleibt bei € 1039,–. „Ich werde drüber nachdenken“, sage ich.

Wenn ich im Lotto einen Sechser tippe oder wenn ich bei Spiel 77 alle Ziffern richtig habe, bekomme ich einen Gewinn – sozusagen einen Rabatt auf meinen Einsatz. Wenn ich im Lotto einen Sechser tippe und wenn ich bei Spiel 77 die letzten Ziffern richtig habe, bekomme ich ebenfalls einen Gewinn – und zwar in beiden Disziplinen. Wenn ich in diesem Jahr einen Sechser hätte oder im Oktober bei Spiel 77 alle Ziffern richtig, dann käme die Lottogesellschaft nicht darum herum, mir in diesem Jahr den Sechser (in einer ansehnlichen – wie heute nicht mehr üblich – Summe) oder im Oktober eine erkleckliche Summe für die richtigen Ziffern, die für Spiel 77 ausschlaggebend sind, zu überweisen – oder in einem großen Koffer vorbeizubringen. Oder? Von mir aus auch und. Wär doch schon, oder?

Noch schöner: Ich tippe in diesem Jahr einen Sechser – und im Oktober habe ich alle richtigen Ziffern für Spiel 77 auf meinem Schein. Die eine Gewinnsumme zur anderen addiert ergibt erfahrungsgemäß dann doch einen Betrag, der zwar leicht unter der Eine-Milliarde-Grenze läge, mir aber immerhin eine anstehende Entscheidung abnimmt: Fahre ich für € 639,– oder für € 1039,– nach Peking?
Ich fahre überhaupt nicht nach Peking. China ist mir schnurzegal. Ich muss mein Geld anlegen. Stellt sich die Frage: Sicher oder mit einem klitzekleinen Risiko? Sicher in diesem Jahr – und im Oktober mit einem klitzekleinen Risiko? Sicher und riskant? Soll ich? Ich weiß nicht, das ist sicher riskant. Oder? Na und schon!

Sonntag, 11. März 2012

Bavarisch schräg und zärtlich, bairisch global

Normalerweise – „omaleis“, spräche meine Tochter, wäre sie noch zwei –, also normalerweise werden wir stutzig, wenn ein Abend mit der Bayern-Hymne startet, nicht aber, wenn von der Oma bis zum Enkel alle Altersklassen begeistert der Band „Luz amoi“ lauschen, die das Lied der Bayern in einer schrägen, sanften, ja zärtlichen Version als Auftakt nahm für ihr wunderbares Konzert im Deutschen Hopfenmuseum.

Eingebettet in die Tradition alter bairischer Lieder präsentieren die fünf Musiker um den Percussionisten Stefan Pellmaier eine Liebeserklärung an die Heimat, die musikalisch die ganze Welt umfasst. Auf mehr als 30 Instrumenten – vom Hackbrett über Steelpan und Marimbaphon bis zur Quetsch’n – zeigen sie, dass Volksmusik global ist und weder langweilig noch antiquiert. Und so wurde der Auftritt von „Luz amoi“ – auf gut Deutsch: „Hör doch mal zu!“ – eine bunte Reise um die Welt, um einen Globus, der sich an diesem Abend locker in die Herzen der Zuhörer schmiegte, eine Rundreise, die nie ihre bavarischen („Bavarese“ heißt übrigens die dritte und neueste CD der Band) Wurzeln verleugnete.



In einen Zwiefachen lässt Manuela Schwarz, eigentlich die Herrin von Hackbrett und Harfe, ein klassisches Flamenco-Klatschen tropfen, wechselt zwischendurch mal ans Schlagzeug, das von Haus aus Stefans Domäne ist, doch Stefan Pellmaier verwandelt sein Akkordeon gerade in ein Bandoneon, um einen Tango zu begleiten, der als Reminiszenz an die ur-bairischen Hoagartn aus der Kindheit deklariert wird. Alles geht, alles vereint die Musik, und das Publikum ist verzaubert, wenn Stefanie Pellmaier, die Geige, zwischendurch Saxophon spielt, die Quetsche ein perfektes Schlagzeugsolo präsentiert und die Klarinette wieder die Gitarre in die Hände von Johannes Czernik übergibt.

Beruhigend grooven als musikalisches Refugium E- und Kontrabass von Dominik Hogl durch die Stücke, so dass nichts schief gehen kann, wenn Stefan Pellmaier der Fasstrommel karibische Rhythmen entlockt und Johannes Czernik im alt-bairischen „Fensterstock-Song“ moderne Dimensionen entdeckt. Und es geht tatsächlich nichts schief: „Luz amoi“ lässt ungarische Zigeunermusik ebenso brillant über die Bühne tanzen wie „Kalinka“ aus Russland, an der Hand ein trauriges „Lidl ausm jiddischen Schtetl“. Irgendwann schleicht sich ins Bairische eine Mariachi-Band mit dem „Porompero“, Johannes Czernik zitiert auf der Gitarre John Mayall, des alten Bluesers „Room to Move“, der Defiliermarsch kommt als Gypsy-Version, und „D’Sau“, das alte bairische Gitarren-Zupfer-Lied, wedelt mit dem Schwanz in afrikanischen Rhythmen.

Zum Niederknien alles – und dann auch noch ein altes bairisches Liebeslied, „Soi i bleim oda soi i geh?“, nur eine Gitarre, eine Stimme, zwei Hände auf der tönernen Flasche, und Stefan Pellmaier als Flügelhorn – wie ein zauberhaft melancholischer Sonnenuntergang, und ganz weit hinten, im alles streichelnden Nebel, schmelzender Schnee auf dem Kilimandscharo, mitten in Bayern …

„Birisch“, bairisch und irisch, ging’s dann zu Ende, dieses tolle Konzert im Deutschen Hopfenmuseum, und einer der anerkanntesten Musikkritiker aus dem ruhmreichen Lande Bavarien, Seppi K., sprach, während er sich im Foyer ein „Bürgerbräu naturtrüb“ orderte, den alles zusammenfassenden Satz: „So schee“, sagte Seppi K. und machte eine bedeutungsschwere Pause, „so schee hamma scho lang nimma g’lust“.

Samstag, 3. März 2012

Alles bavarisch: Stahl, edel; Acryl, imponierend; Sommerwein, beschwingend


Bürgermeister Jens Machold hatte schnell einen Favoriten gefunden unter den Plastiken, die der Künstler namens „Hex“ in der Wolnzacher Rathaus-Galerie präsentiert, und unter Alexander Kreileders imponierenden Acryl-Gemälden ist unser Wunsch-Bild „Lost in my Dreams“ – als würde Bruce Springsteen skeptisch bayerische Kunst inspizieren.

Nathalie Ponsot, der Kuratorin der Rathaus-Galerie, ist mit der Gemeinschaftsausstellung des Pfaffenhofener Künstlers Alexander Kreileder und des Stahlbildhauers „Hex“ (einen kryptischer Name, ein Akronym?) aus Osseltshausen ein großer Wurf gelungen. Kein Wunder also, dass Kulturreferent Alois Siegmund zur Vernissage außerordentlich viele Gäste begrüßen konnte, darunter den ehemaligen Kulturreferenten der Stadt Pfaffenhofen, Hellmuth Inderwies, in Begleitung von Antonio Cigna, Vorsitzender von „Pro Europa Una“ und Maestro d’Arte.


In seiner Laudatio würdigte Siegmund den Osseltshausener als Stahlbildhauer, der, mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, im Edelstahl nun sein Lieblingsmaterial gefunden habe und niemals zeichne: „Hex“ versuche gar nicht, seine dreidimensionalen Gedanken auf zweidimensionales Papier zu bringen, um sie dann wieder in die dritte Dimension zu übertragen. So seien seine Entwürfe gleichzeitig schon autarke Plastiken.

Manchem erscheine, so Siegmund, Alexander Kreileder als Pessimist, selbst bezeichne er sich als Realist. Eindringliche Portraits (Bruce Springsteen? Wir haben, traumverloren, nicht gefragt.) und düstere, fast bedrohlich wirkende, ins Abstrakte gehende Bilder zeigen den unbequemen Maler Alexander Kreileder, der als Künstler eigentlich bekannt ist wegen seiner beeindruckenden Skulpturen. In seinen Gemälden schaut er genau hin, seziert die Welt, verleiht der harten Realität Ausdruck, und in allegorischer Form tritt – siehe „Die große Seele“, eine Reminiszenz an Mahatma Gandhi – zu Tage, wonach der Künstler, nicht nur für sich, sich sehnt: Weisheit und Gelassenheit.

Musikalisch und blendend gelaunt verzauberten Peter Voice und Samuel String den Abend: Ob die beiden Stimmen mit Gitarren beim Song „Summerwine“ an Uschi Obermaier dachten oder einfach nur den Rotwein ehrten, den Sigi Vogl-Wolf, der Kuratorin Gefährte, nebst Wasser engagiert kredenzte, bleibt offen. Sicher ist, dass ab „La Bamba“ im Rathauskeller getanzt wurde.

Donnerstag, 23. Februar 2012

Des Bavarischen Volkes Stimme und des Schlafes Luder


Wir sind die Besten! Kaum haben wir uns torkelnd vor Überschwang aus dem Faschingskostüm geschält und mit verquollenen Augen in die Aschermittwochsonne geblinzelt, fällt uns nichts besseres ein, als mit letzter Kraft zum Kleiderschrank zu kriechen, das verschmierte Aschekreuz aus der christlichen Kindheit noch auf der Stirn. Raus mit der Lederhose, den Trachtenjanker übergeworfen, und los geht’s, auf Nockher-Berge, in Katakomben, Turnhallen und Stadl!


Wir hier in unserer beschaulichen Stadt beschränken uns auf Stadl und Gewölbe. Anderswo weicht der Mensch sogar auf Volksfesthallen aus, ein Vorgehen zwar, das wir als der Tradition bewusste und jener auch verpflichtete Bürger nicht mit ganzem Herzen gut heißen können, doch in unserer Holledauer Großzügigkeit mit einem Lächeln tolerieren. Es ist ja auch zum Lachen. Das Starkbier ruft – wir folgen. Wir sind am Verhungern. Diese Fastenzeit, oh mei, oh mei! Vierzig lange Tage, auch Passionszeit genannt, möge der Christ auf Fleisch und Wein verzichten, selbst eingeschränkter Fernsehkonsum wird gerne als Zeichen gesetzt für bereitwillige Buße und spirituelle Erneuerung in einer Zeit vermehrter Ruhe und Besinnung. Von wegen.

„Flüssiges bricht Fasten nicht“ lautet ein alter kirchlicher Grundsatz, und schon starten wir los, hinein in die Starkbierzeit, so passioniert (war da nicht was mit Passionszeit? Na also!), als ginge es ums blanke Überleben in der Stierkampfarena. Irgendwie ja tatsächlich, denn was ein richtiges Starkbierfest sein will, engagiert sich aus den unendlichen Reihen der kabarettistischen und musikalischen Dienstleister ein paar Damen und Herren, die – wie  picadores und banderilleros – uns mehr oder weniger Prominente weniger oder mehr sticheln dürfen, und wenn schon nicht uns, dann wenigstens unsere Stiere. Der letztjährige bundesweite toro Guttenberg hat ausgedient, anbieten mag sich jetzt ein Gespann aus Alt und Neu, hinter und vor der Bundespräsidentenkutsche, und den Vornamen eines dieser Pferde verwenden wir demnächst beim Patentamt in der Landeshauptstadt, wenn wir unseren „Christianisator“ als Bezeichnung für unsere neueste Starkbierkreation anmelden – obwohl wir, wie immer bei blumig und nachhaltig gebrauchten Namen, nicht allzu viel Hoffnung darin setzen, dass wir die Christianisierung des Abendlandes damit auch nur ein Stück weit voranbringen. Wer sich klaren Verstandes im letzten Jahr angesehen hat, was eine unkontrollierte Zufuhr von Flüssignahrungsmitteln in den Müllerbräu-Katakomben anrichten kann, muss zugeben, dass auch der „Demokrator“ in jener Beziehung keinen Pfifferling wert ist.

Aber gut. Was schmeckt, schmeckt; der Zither-Manä wird heuer dazu aufspielen, und im Stocker-Stadl laufen die Stachelbären ein – in unterschiedlichsten Kostümen. Es wird wieder ein Fest des Volkes werden, wenn sich die Damen und Herren dortselbst auf der Bühne die satirischen Bällchen zuwerfen. Als des Volke(r)s Stimme schreibt übrigens und neuestens einer der Bären in einem Lokalblatt eine Kolumne, für diejenigen wohl, die keinen Durst haben oder den Weg zu den Holzsäulen des Stadls nicht finden. Oder sich Zeit nehmen, bescheiden zu überlegen, ob die Volksfestzeit als des Schlafes Luder genügt, dass wir weiterhin diesen Ködern auf den Leim gehen, die uns schwindelnd durchs Jahr schwingen von Höhepunkt zu Höhepunkt – bis er uns dann endgültig hat, der große Schlaf. Uns, die Besten.

Freitag, 20. Januar 2012

Das Bavarische Mehr und das Bavarische Weniger


Es ist nicht zwingend, dass Singer und Songwriter ihre Konzerttermine beim Stil-Wirt in Wolnzach auf ihren Geburtstag legen. Phil Vetter hat es getan und präsentierte mit Drummer und Bassisten sein brandneues Album „Karate“, eingebettet in Gewöhnung fordernde Neuinterpretationen der Lieblingsstücke aus seinen vorangegangenen Produktionen.
Wohl etwas angekratzt vom leichten Schock, der selbst professionelle Musiker ereilt, wenn sie an ihrem Geburtstag auf mehr als vier Jahrzehnte zurückblicken, betrat Phil Vetter in der Gaststube an der Wendenstraße die Bühne, von den selbstständigen Klängen des elektronischen Keyboards gelockt, und versuchte, das Genre der singenden Songwriter auf eine neue Ebene zu heben. Mit seiner Band, vor allem mit technischen Mitteln, wob er an einem facettenreichen, variable Stilmittel variantenreich einsetzenden Pop-Werk, das als Klangteppich mehr laut als leise aus der autochthonen Welt der schreibenden Sänger floh.

Am Boden gehalten wurden Vetters Songs von Wompmasta MC an den Drums, der mit den Sticks präzise auf Fellen und Becken rührte, und von Francisco Perez Mazon. Der Argentinier, hochaufgeschossen wie die Saiten seines Instruments und wohl deshalb auf den Namen „Flaco“ hörend, entlockte seinem Bass jene nötige Beruhigung, die schleudernde Teppiche vor dem Untergang bewahrt.

Am überzeugendsten zeigte sich Phil Vetter, wenn er sich auf Balladeskes besann, John Lennons „Imagine“ zitierte und mehr seinen Fingern auf den Tasten als den elektronischen Kapazitäten seines Keyboards vertraute. Und dass Gitarren-Soli aus dem Play-Back-Stage-Bereich erklingen, ohne dass ein entsprechender Musiker auf der Bühne agiert, gehört ins Reich des elektronischen Schnickschnacks verwiesen, wo dergleichen Firlefanz von einer melancholischen, aber inspirierten Singer-und-Songwriter-Performance träumen kann.
Dass Stil-Wirt Georg „Muskel“ Appel nach dem Geburtstagsständchen noch zur Mundharmonika griff und zum heftigen Blues-Rock auf die Bühne kam, war der Höhepunkt eines Konzertes, das hoffen lässt auf neue, individuelle, persönliche Ideen, und so, wie wir Phil Vetter kennen, präsentiert er im nächsten Jahr einfach ein bisschen weniger Vetter und wieder ein bisschen mehr Phil.